Zur Geschichte der „Austro-Dok online“

Markus Stumpf, Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte, Universität Wien

Im Jahr 2015 erhielt die Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte der Universität Wien ein Konvolut von Medienberichten auf Mikrofiche – etwa 10.000 Stück, mit weit über 400.000 Einzelbildern, über 100 DVDs mit digitalisierten Fernsehaufnahmen und einen Datenbestand von fast 600.000 Datensätzen im txt-Format – in denen Medienberichte zur österreichischen Politik und Zeitgeschichte von den 1970er Jahren bis 1995 dokumentiert sind.1

Aus der zur Verfügung gestellten Dokumentation von 2001 war ersichtlich, dass die Daten zu einem unbestimmten Zeitpunkt aus einer nicht näher benannten Datenbank mit unbekannter Umlautkodierung als ASCII-Textdatei als Sicherung exportiert worden waren. 2001 erfolgte eine Konvertierung der Umlaute in den DOS/Windows-Zeichensatz und eine Konvertierung des Zeilenumbruchs in DOS/Windows CR/LF Sequenzen. Zusätzlich waren zur Markierung der Objektgrenze eine Trennzeile eingefügt und die Daten in Dateien zu je 10.000 Objekten (Dateigröße ca. 3 MB) aufgeteilt worden.2

Die Daten selbst lagen im sogenannten MAB2-Format vor. Das heißt, jede Zeile enthält eine bestimmte Information, wobei die vorangestellten drei Zeichen eine dreistellige Nummer bilden, welche die Bedeutung der nachfolgenden Information angibt. Die einzelnen Kennungen im MAB2-Format wurden folgend verwendet:

  • 010: laufende Nr. – kennzeichnet gleichzeitig den Beginn eines neuen Objektes3
  • 020: Datum
  • 030: Mikrofiche-Nr.
  • 037: Wertung
  • 040: Quelle4
  • 045: Titel
  • 050: Medium5
  • 100: Autoren/Adressaten
  • 110: Ort
  • 140: Abstract
  • 180: Kurzzitat
  • 310: Titel
  • 335: Untertitel
  • 700: Modifikator6
  • 709: Schlagworte
  • 720: Kurzzitat
  • 750-755: Abstract
  • 800: Autor
  • 810: Autor + Adressat
  • 820: Adressat
  • 950: Ort7

Folgend ein Beispiel für einen solchen Datensatz anhand des Kommentars „Schamir und Waldheim“ von [Georg] Hoffmann-Ostenhof in der Arbeiter Zeitung vom 28. Mai 1986:

010R-344723
02086-05-28
03006248-A3
0372
040Zeitung
050Arbeiter Zeitung
310SCHAMIR UND WALDHEIM
700Kommentar
709Wahlen-BP. Wahlkampf. Nahost. Antisemitismus. Oppositionspolitik.
709Medien. Politiker. Persönliches
800Hoffmann-Ostenhof.
820Schamir. Waldheim.
950Israel

Obwohl mit dem MAB2-Format die Textdateien prinzipiell strukturiert vorlagen, wurde ersichtlich, dass sich die Datenschemata und damit auch die Datenerfassung zu verschiedenen Zeitpunkten (1981, 1986, 1989 und 1990) verändert hatten, was schließlich auch zu Dateninkonsistenzen führte. Daher stellte die Aufbereitung der Daten in ein einheitliches Datenschema sowie die Entfernung und Ersetzung der in den Daten durch Konvertierungen entstandenen Sonderzeichen eine spezifische Herausforderung des ersten Projekts dar8. Dank einer Förderung durch die Bruno Kreisky Stiftung für Verdienste um die Menschenrechte konnten schließlich im September 2017 die Daten in einer lokal an der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte verfügbaren Access-Datenbank9 wieder nutzbar gemacht und erstmals am Österreichischen Bibliothekartag in Linz präsentiert werden.10

In Folge war zwar die Nutzung und Dissemination in zahlreichen Lehrveranstaltungen und Forschungsprojekten sehr zufriedenstellend, jedoch durch die reine örtliche Verfügbarkeit stark limitiert. In einem Folgeprojekt11 2020 konnte dank des Einsatzes von Oliver Rathkolb und der Förderung durch die Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät der Universität Wien die Referenzdatenbank in Zusammenarbeit mit der Firma Acolono12 mit der Search Engine MeiliSearch13 als Austro-Dok online unter www.austrodok.at im Juli 2020 ins Internet gestellt werden.

Folgend eine Datensatzausgabe zu einem für die österreichische Zeitgeschichte und die Universität Wien interessanten Beispiel. Im November 1990 wurde im ORF – sowohl im Hörfunk (Mittagsjournal) als auch im Fernsehen (ZiB1) – über die Verleihung des Ehrendoktorats der Universität Wien an Simon Wiesenthal berichtet. Ersichtlich ist dabei, dass beide Beiträge in einem Datensatz und in einem Kurzzitat/Abstract referiert wurden. Das bedeutet, dass einerseits die Gesamtanzahl der erfassten Medienberichte umfangreicher ist, als die reine Anzahl an Datensätzen innerhalb der Datenbank und andererseits, dass mit den Kurzzitaten und/oder Abstracts ein über die reinen Metadaten hinausgehender Inhalt geboten wird.

Id: 549118
Nummer: R-507601
Datum: 1990-11-07
MikroficheNr: 009299-E7
Titel: Ehrendoktorwürde der Universität Wien f[ü]r Simon Wiesenthal
Level: Level 2
Quelle: Fernsehen Hörfunk
Medium: Mittagsjournal Zeit-im-Bild-1
Modifikator: Rede
Schlagwort: Ehrungen Hochschulen Nationalsozialismus Zeitgeschichte Wahlen-BP Wahlkampf Antisemitismus Ideologie Laudatio. Universität-Wien. Ehrendoktorat
Zitat: Gesellschaft[:] Es ist ein Fall von unverzeihlicher Gewissenlosigkeit, wenn ein unbelastet geborener Nachkriegspolitiker seine Erfolge auf verabscheuungswürdiges Wiederaufleben [ü]belster Diktion baut und sich nicht einmal von den ärgsten Worttätern trennt. Im Zuge der letzten Bundespräsidentschaftskampagne [wurde] Antisemitismus wieder salonfähig[.] Simon Wiesenthal wurde das Ehrendoktorat der Universität Wien verliehen. In seiner Laudatio würdigt Wissenschaftsminister Busek Wiesenthal und kritisiert, ohne Namen zu nennen, die Politik von FP-Bundesparteiobmann Haider wegen dessen Naheverhältnis zu den Altnazis.
Autor*in: Busek, Erhard SP-VP-Reg
Adressat*in: Wiesenthal, Simon Jüdisches-Dokumentationszentrum. Waldheim, Kurt. Haider, Jörg FP
Ort: Wien

Mit der Referenzdatenbank Austro-Dok online kann nun ein weltweiter offener Zugang zu dieser wesentlichen Quelle der österreichischen Politik und Zeitgeschichte kostenfrei und ortsunabhängig geliefert werden.14 So wird – Oliver Rathkolb zitierend – auch „schlafendes Wissen“ wieder nutzbar gemacht. Die „Austro-Dok hatte ihren Ursprung in der ‚Funkbeobachtung‘ der SPÖ in den 1970er Jahren. Sie stellte ein beachtliches Informationsreservoir dar, das der SPÖ und ihren FunktionärInnen zur Verfügung stand. Zwar wurden Anfragen von Ministerien, Privaten usw. beantwortet, aber öffentlich zugänglich war die Austro-Dok nie. Der geschaffene Zugang stellt somit auch eine Demokratisierung von Wissen dar.“15

Die Datenbank der Austro-Dok bildet mit ihrem Erschließungszeitraum, der im Wesentlichen die Jahre 1973 bis 1995 umfasst, eine Periode der österreichischen Zeitgeschichte ab, die in anderen Datenbanken oftmals noch unzureichend erfasst ist. Auch die erschlossenen Medien selbst gehen über die gängigen und bekannten Printmedien hinaus, so wurden z.B. auch Partei-Pressedienste oder Parlamentskorrespondenzen sowie Regionalpresse und auch Rundfunkberichte ausgewertet. Insgesamt umfasste diese Auswertung etwa 70 verschiedene Quellen (siehe Anhang: Dokumentation der ausgewerteten Medien). Damit schließt die Austro-Dok bestehende Lücken und stellt eine wesentliche Ergänzung vorhandener Medienarchive dar.

Den größten Anteil an den herangezogenen Berichten nehmen mit zwei Drittel gedruckte Medien, wie Zeitungen, Zeitschriften usw. ein. Werden die rund 17% an ausgewerteten Pressedienstmeldungen hinzugezählt, so ist dieser Anteil noch viel deutlicher und zeigt die deutliche Dominanz von Druckwerken in dieser Zeit. Mit über 52.700 Datensätzen sind aber immerhin 9% der Einträge dem Bereich der Fernseh- und Radioberichte zuzuordnen, während die Einträge zu den parlamentarischen Materialien mit fast 38.000 Einträgen etwa 6% der dokumentierten Datensätze ausmachen.

In einer quantitativen Analyse der Datensätze der Austro-Dok zeigt sich, dass der Höhepunkt der Medienbeobachtung- und Auswertung der SPÖ mit 59.393 Datenbankeinträgen im Jahr 1981 in der Regierungsperiode Kreisky IV (1979–1983) lag – also in der letzten Alleinregierung der SPÖ unter Bundeskanzler Bruno Kreisky (1911–1990) – und ab 1990 unter Bundeskanzler Franz Vranitzky in Koalition mit der ÖVP deutlich reduziert wurde.

Anhang: Dokumentation der ausgewerteten Medien

Ausgewertete Tageszeitungen

Kärntner Tageszeitung, Kleine Zeitung, Kurier Wiener Ausgabe, Kurier NÖ Ausgabe, Kronen-Zeitung Wiener Ausgabe, Kronen Zeitung NÖ Ausgabe, Neue AZ, Neue AZ Niederösterreich, Neue Vorarlberger Nachrichten, Neue Zeit, Neues Volksblatt, NÖ Landzeitung, NÖ Nachrichten, OÖ Nachrichten, OÖ Tagblatt, Presse, Salzburger Nachrichten, St. Pöltner Nachrichten, Der Standard, Tiroler Tageszeitung, Volksstimme, Volkszeitung für Kärnten und Osttirol, Vorarlberger Nachrichten, Wiener Zeitung

Ausgewertete Wochen- und Monatspresse

Amstettner Anzeiger, Bildpost, Burgenländische Freiheit, Die Furche, Die ganze Woche, Neue Freie Zeitung, Österreichische Monatshefte, Plus, Präsent, Profil, Spiegel, Trend, Wiener, Wochenpresse

Ausgewertete Pressedienste

Bundespressedienst Auslandspresseschau, Freiheitlicher Pressedienst, pd-aktuell, ÖGB Nachrichtendienst, ÖVP Pressedienst, Pressedienst der Bundeswirtschaftskammer, Rathauskorrespondenz, Sozialistische Korrespondenz Ausgewertete Rundfunksendungen Morgenjournal, Mittagsjournal, Journal um 5, Abendjournal, Nachtjournal, Ö3 Nachrichten Landesrundschau Mittag Wien, Landesrundschau Abend Wien, Landesrundschau Mittag Niederösterreich, Landesrundschau Abend Niederösterreich, NÖ heute, Wien heute, Inlandsreport, Pressestunde, Zeit im Bild 1, Zeit im Bild 2, Innenpolitische (Sonder-)Sendungen in Hörfunk und TV

Ausgewertete Parlamentarische Materialien16

XVII und XVIII Gesetzgebungsperiode (1986–1994): Nationalratsprotokolle, Schriftliche Anfragen, Stellungnahmen des Hauptausschusses, Anfragebeantwortung im Nationalrat, Parlamentskorrespondenz [u.a.]

Fußnoten

  • 1Siehe den Beitrag von Maria Wirth: Zur Geschichte der Austro-Dok. URL: https://bibliothek.univie.ac.at/fb-zeitgeschichte/zur_geschichte_der_austro.html (abgerufen am 16.05.2020) bzw. DOI: https://doi.org/10.25365/phaidra.163.
  • 2Vgl. Internes Archiv der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte der Universität Wien, Mappe „Dokumentation zur Austro-Dok“
  • 3Die ersten Datensätze sind mit einer P-Nr. (P-000001) gekennzeichnet, ab dem ca. 30.000 Datensatz beginnen die Datensätze mit einer R-Nr. (R-000001).
  • 4 Z. B. Pressedienst, Hörfunk, Nationalratsprotokolle usw.
  • 5 Z. B. Arbeiter Zeitung, die Presse, Kronen Zeitung, Zeit im Bild 1 aber auch Parlamentsabkürzungen.
  • 6 Z. B. Anfrage NR Statistik, NR Aktuelle-Stunde, Kommentar usw.
  • 7 Ort/Land bzw. Orte/Länder, aber auch der Bund als gesamtes wird genannt.
  • 8 Projekteitung: Markus Stumpf, Laufzeit 2015–2017. Günter Bräuhofer, FB Zeitgeschichte, ist für seine Mitarbeit herzlich zu danken.
  • 9 Konvertierungsdokumentation:
    020 Änderung des Datumformates auf: TT.MM.JJJJ. Alle Datumseinträge „ýýýý“ wurden mit 01.01.1900 ersetzt.
    030 Die Kategorie 035 (Fortsetzung Mikrofiche-Nr.) wurde in die Kategorie 030 integriert. Die Angaben „0“ und „ýýýý“ wurden mit „-“ ersetzt.
    310 Die Inhalte der Spalte 045 wurden in die Kategorie 310 integriert.
    720 Die Inhalte der Spalte 180 wurden in die Kategorie 720 integriert.
  • 10 Markus Stumpf: Medienarchive – Nutzung und Vermittlung an der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte. Vortrag gehalten am 15.09.2017 am 33. Österreichischen Bibliothekartag, Johannes Kepler Universität Linz, 12.–15. September 2017.
  • 11 Projektleitung: Markus Stumpf und Oliver Rathkolb, Laufzeit 2020.
  • 12 Vgl. https://www.acolono.com/ (abgerufen am 16.05.2020).
  • 13 Vgl. https://github.com/meilisearch/MeiliSearch (abgerufen am 16.05.2020).
  • 14 Bei der Austro-Dok online handelt es sich um die Rekonstruktion einer historisch entstandenen Datenbank. Etwaige fehlerhafte oder fehlende Angaben werden nicht ausgebessert oder nachgetragen.
  • 15 Pressemeldung der Universität Wien: Zeithistoriker machen schlafendes Wissen zugänglich, 13.09.2017. URL: https://medienportal.univie.ac.at/presse/aktuelle-pressemeldungen/detailansicht/artikel/zeithistoriker-machen-schlafendes-wissen-wieder-zugaenglich/ (abgerufen am 16.05.2020).
  • 16 Zu den in der Austro-Dok verwendeten Abkürzungen siehe das Abkürzungsverzeichnis des Österreichischen Parlaments unter https://www.parlament.gv.at/PERK/GL/ABK/Alle.shtml